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Arbeitsrecht 4.0 Compliance Haftung

Digitalisierung verschlafen – wer haftet?

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Haftung

Darf man Unternehmen bewusst auf ihr Ende zusteuern lassen? Wohl ja. Denn vor einer Haftung der Geschäftsleitung, die konkrete Vorschläge zur Änderung des Geschäftsmodells ablehnt und den Digitalisierungsbedarf ihres Unternehmens einfach ignoriert, schützt vor allem die „Business Judgment Rule“. Aktuelle Pleiten vor allem im Textilhandel werfen allerdings die Frage auf, ob nicht doch eine „Pflicht zur Innovation“ besteht, die im Falle eines „Verschlafens“ auch zur Haftung der Geschäftsleitung führen kann.

Haftungsmaßstab für die Geschäftsleitung

Die Geschäftsleitung eines Unternehmens muss eine unternehmerische Entscheidung immer zum Wohle der Gesellschaft, auf angemessener Informationsgrundlage, in gutem Glauben und ohne Sonderinteressen treffen. Das besagt die „Business Judgment Rule“, die sich in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG wiederfindet. Eine Schadensersatzpflicht der Geschäftsleitung soll nur dann entstehen, wenn die Grenzen unternehmerischer Leitungssorgfalt deutlich überschritten wurden oder aber die Geschäftsleitung in „unverantwortlicher Weise“ ihre unternehmerische Risikobereitschaft überspannt hat. Dabei kommt es auch nur auf den Zeitpunkt an, in dem eine Geschäftsentscheidung getroffen wurde. Was sich nur im Nachhinein als Fehlentscheidung entpuppt, kann der Geschäftsleitung nicht vorgeworfen werden.

Innovation als Kernaufgabe des Managements

Aber wie verhält sich „Business Judgment“ zu ganz offensichtlichen Fehlentscheidungen, Betriebsblindheit oder schlicht einer innovationsscheuen Führungsmannschaft? Könnten die Gesellschafter ihrer Geschäftsleitung vorwerfen, dass sie das Ende ihres auslaufenden Geschäftsmodells nicht rechtzeitig erkannt und der Entwicklung gegengesteuert hat? Wohl ja, denn je nach Branche, Unternehmensgröße, Marktanteil und IT-Sensibilität kann man das Thema Innovation durchaus als Kernaufgabe des Managements verstehen. Vor allem im Bereich analoger beziehungsweise konservativer Geschäftsmodelle wird eine Geschäftsleitung sich kaum damit herausreden können, dass sie das Thema Digitalisierung als Modeerscheinung abgetan und nicht auf die Zukunft ihres eigenen Unternehmens bezogen hat. Das mag bei einem durch Filialgeschäft getriebenen Bekleidungshersteller vielleicht offensichtlicher sein als bei einer Schönheitsklinik. Angesichts des öffentlichen Veränderungs- und Digitalisierungsdrucks und der als sicher geltenden weiteren wirtschaftlichen Entwicklungen wird man es aber in fast jedem Bereich als Pflicht formulieren können, das eigene Geschäftsmodell und erforderlich werdende Änderungen ständig im Blick zu behalten.

Fortschritt als Arbeitgeberpflicht

Diese „Innovationspflicht“ wird für die Geschäftsleitung auch gegenüber den eigenen Arbeitnehmern relevant. Neben der Mitbestimmung bei der Weiterbildung steht dem Betriebsrat nach § 92a BetrVG sogar ein eigenes Verfahren zur Verfügung, wie er mit konkreten Vorschlägen auf den Arbeitgeber zugehen und diesen verpflichten kann, sich mit den Vorschlägen zu den Belangen der künftigen Belegschaft auseinander zu setzen (dazu in Kürze mehr hier im Blog). Ungenutzte Vorschläge können dem Arbeitgeber in einem späteren Kündigungsschutzverfahren auf die Füße fallen – „Haftung light“ sozusagen. Daneben können sich auch einzelne Arbeitnehmer auf die Fürsorgepflicht ihres Arbeitgebers berufen und einen Anspruch auf Weiterbildung oder Umschulung geltend machen – jedenfalls dann, wenn sich Tätigkeit und Anforderungsprofil (z.B. im Zuge der Digitalisierung) so stark ändern, dass der Arbeitnehmer ansonsten nicht mehr leisten kann (siehe dazu unseren Beitrag zu „Schulbank 4.0„).

Ohne Schaden keine Haftung

Trotz Pflicht zur Innovation ist es derzeit kaum denkbar, dass eine Geschäftsleitung gegenüber ihren Gesellschaftern persönlich für eine „verschlafene Digitalisierung“ haftet. Im Einzelfall wird sich nur schwer nachweisen lassen, ob beispielsweise ein rechtzeitiges Umstellen auf Online-Handel und Reduktion der Ladengeschäfte zu einer Rettung des Unternehmens geführt hätte. Zudem wird sich auch in aller Regel ein Schaden nicht genau beziffern lassen. Wie viel besser oder wie viel weniger schlecht wäre es einem Unternehmen ergangen, wenn die Geschäftsleitung die eine oder die andere Entscheidung getroffen hätte? Hätte eine Insolvenz wirklich vermieden werden können, wenn der Geschäftsführer die Vorschläge des Sanierungsberaters befolgt hat? Strenge Hüter der unternehmerischen Freiheit würden sogar behaupten, dass ein Geschäftsmodell einfach auch mal zuende gehen darf. Dann wäre ein bewusstes Zusteuern auf das Ende kein Haftungsfall, sondern Marktbereinigung.

Katja Giese, LL.M.

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht / Attorney-at-Law (NY)
Partner
Katja Giese berät Arbeitgeber vor allem in Zusam­men­hang mit inter­na­tio­na­len Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, der anschlie­ßenden Integration und Umstruk­tu­rie­run­gen. Sie verfügt außerdem über umfassende Erfahrungen im inter­na­tio­na­len Projektmanagement. Katja Giese ist zugelassen als Attorney-at-Law (NY) in den Vereinigten Staaten, wo sie Teile ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn verbrachte. Besondere Branchenkenntnis besitzt sie im Technologiesektor.
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