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Scheitern von Verhandlungen über Interessenausgleich in der Einigungsstelle

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Der typische Fall: Arbeitgeber und Betriebsrat verhandeln in der Einigungsstelle über einen Interessenausgleich für den geplanten Abbau von Arbeitsplätzen. Der Arbeitgeber möchte keine Zeit verlieren und die Maßnahme schnellstmöglich umsetzen. Hierfür ist eine Einigung mit dem Betriebsrat über den Interessenausgleich zwar nicht erforderlich. Es muss allerdings der Versuch der Verhandlung eines Interessenausgleichs unternommen werden bis hin zum sogenannten Scheitern der Verhandlungen. Erst dann kann der Arbeitgeber mit dem Personalabbau beginnen. Doch wann gelten die Verhandlungen als gescheitert? Kann der Arbeitgeber die Verhandlungen frühzeitig für gescheitert erklären, selbst wenn Betriebsrat und Einigungsstellenvorsitzender noch eine Chance auf Einigung sehen?

Einseitige Erklärung des Scheiterns jederzeit möglich …

Diese Fragen sind nicht unumstritten. Die Antwort muss aber lauten: Der Arbeitgeber kann grundsätzlich jederzeit und gegen den Willen von Betriebsrat und Einigungsstellenvorsitzenden das Scheitern der Verhandlungen erklären, die Einigungsstelle zum Interessenausgleich dadurch beenden und mit der Umsetzung des Personalabbaus beginnen. Denn das Scheitern der Verhandlungen bestimmt sich nach subjektiven Kriterien: Der Arbeitgeber entscheidet für sich, ob er noch eine Chance auf eine Einigung sieht oder eben nicht. Das muss schon deshalb gelten, weil jede Partei ihre mit den Verhandlungen verfolgten Ziele subjektiv bestimmt und daher auch nur selbst entscheiden kann, ob diese Ziele noch erreicht werden können. Zudem würde ein Zwang zur Fortsetzung der Einigungsstelle gegen den Willen des Arbeitgebers nicht mehr im Einklang damit stehen, dass die Einigungsstelle für den Interessenausgleich gerade keine Entscheidungskompetenz hat – ein Spruch kann hierzu nicht ergehen.

… will aber gut vorbereitet sein

Gleichwohl ist die einseitige Erklärung des Scheiterns nicht ohne Risiken. Es sollte jedenfalls nachvollziehbar sein, warum der Arbeitgeber keine Aussicht auf eine Einigung mehr sieht. Andernfalls hat der Betriebsrat nach der Rechtsprechung einiger Landesarbeitsgerichte die Möglichkeit, die geplante Betriebsänderung durch die Beantragung einer einstweiligen Verfügung vorerst zu stoppen. Zudem könnten Arbeitnehmer später Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 Abs. 3 BetrVG geltend machen. Da das Scheitern wie dargestellt naturgemäß aber stark subjektiv geprägt ist, dürfte der Prüfungsmaßstab des Gerichts in diesen Verfahren faktisch darauf beschränkt sein, ob objektive Anhaltspunkte die subjektive Überzeugung vom Scheitern stützen.

Hierbei hilft, wenn der Arbeitgeber vor der Scheiternserklärung ernsthafte Beratungen mit dem Willen zu einer Einigung durchgeführt hat, indem er sich mit den vom Betriebsrat vorgeschlagenen Alternativen befasst und argumentativ auseinandergesetzt hat. Empfehlenswert ist, dass der Arbeitgeber erläuternde Unterlagen zur Verfügung stellt und Nachfragen des Betriebsrats beantwortet. Die Verhandlungen sollten zudem detailliert schriftlich dokumentiert werden. Hierzu gehören die Vorbereitung von Präsentationen oder sonstigen Unterlagen für jede Verhandlungsrunde sowie die nachbereitende Zusammenfassung, z. B. in Protokollen oder zusammenfassenden E-Mails des Arbeitgebers an den Betriebsrat.

Darüber hinaus kann es im Einzelfall sinnvoll sein, auch die interne Zielsetzung, die während der laufenden Interessenausgleichsverhandlungen gegenüber dem Betriebsrat möglicherweise gar nicht kommuniziert wird, belegbar zu dokumentieren. Denn sie kann im Rahmen von Verfahren zu Nachteilsausgleichsansprüchen möglicherweise für die Darlegung der subjektiven Überzeugung vom Scheitern herangezogen werden.

„Marschroute“ für die Erklärung des Scheiterns

Wenn der Arbeitgeber das Scheitern der Verhandlungen über den Interessenausgleich in der Einigungsstelle erklären will, empfiehlt sich folgende Vorgehensweise:

  • Schritt 1: Zunächst sollte er versuchen, einen Konsens über das Scheitern herbeizuführen. Denn wenn beide Betriebsparteien übereinstimmend von dem Scheitern der Verhandlungen in der Einigungsstelle ausgehen, dürfte ein Gericht in späteren Verfahren über Nachteilsausgleichsansprüche wohl kaum zu dem Schluss kommen, dass ein Scheitern tatsächlich nicht vorgelegen hat.
  • Schritt 2: Wenn die Herbeiführung eines Konsenses über das Scheitern nicht gelingt, sollte jedenfalls der Einigungsstellenvorsitzende davon überzeugt werden, dass er im Protokoll aufnimmt, auch er gehe von einem Scheitern der Verhandlungen zum Interessenausgleich aus. Denn einer solchen Feststellung dürfte eine starke Indizwirkung zukommen. So gibt es im Zusammenhang mit Nachteilsausgleichsansprüchen Rechtsprechung, wonach der ausreichende Versuch eines Interessenausgleichs eben damit bejaht wurde, dass der Einigungsstellenvorsitzende das Scheitern im Protokoll festgestellt hatte.

Fazit

Wenn der Arbeitgeber eine geplante Personalabbaumaßnahme schnell umsetzen will oder muss, ist in der Einigungsstelle die frühzeitige einseitige Erklärung des Scheiterns der Verhandlungen zum Interessenausgleich rechtlich jedenfalls eine Option. Natürlich spielen bei der Entscheidung über das Ob und Wann der Erklärung des Scheiterns diverse Faktoren eine Rolle. Wichtigster Faktor: Der Sozialplan, in dem die „finanzielle Musik“ spielt. Hierzu kann die Einigungsstelle durchaus einen Spruch erlassen und damit die Inhalte vorgeben. Vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, Interessenausgleich und Sozialplan als Gesamtpaket einvernehmlich abzuschließen, anstatt frühzeitig das Scheitern der Verhandlungen zum Interessenausgleich zu erklären und das Klima in der Einigungsstelle dadurch zu vergiften. Das mag dann zwar etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen, kann aber möglicherweise verhindern, dass dem Arbeitgeber am Ende ein teurer Sozialplan – sollten auch diese Verhandlungen scheitern – gegen den eigenen Willen von der Einigungsstelle „aufgedrückt“ wird.

Mehr zu dem Thema in Heuer/Janko, Wie erklärt der Arbeitgeber das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen in der Einigungsstelle?, NZA 2020, Seite 1521.

Dr. Jan Heuer

Rechts­an­walt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Principal Counsel
Jan Heuer berät deutsche und internationale Unternehmen sowie öffentlich-rechtliche Institutionen umfassend in allen Fragen des Arbeitsrechts. Einen Schwerpunkt bilden die Begleitung von Reorganisationen und Restrukturierungen sowie die Vertretung in Arbeitsgerichtsprozessen. Besondere Expertise hat er außerdem im Datenschutzrecht (z. B. DS-GVO-Checks, Abschluss von IT-Betriebsvereinbarungen) und im Bereich arbeitsrechtlicher Compliance (z. B. interne Untersuchungen bei Fehlverhalten von Mitarbeitern, Vermeidung von Scheinselbständigkeit und illegaler Arbeitnehmerüberlassung, Einhaltung Betriebsverfassungsrecht). Jan Heuer ist bei KLIEMT.Arbeitsrecht verantwortlich in den Fokusgruppen "Whistleblowing und interne Untersuchungen" sowie "Digitalisierung und Mitbestimmung".
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