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Zukunftssicherung durch „Zukunftsvereinbarung“? Die Ergebnisse der IG-Metall-Tarifrunde in NRW

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Neben den Forderungen nach Gehaltserhöhungen und Einmalzahlungen der Arbeitgeber ist die Forderung nach sog. Zukunftstarifverträgen zur Standort- und Beschäftigungssicherung eines der Top-Themen im Rahmen der diesjährigen Tarifrunde der IG Metall. Der Abschluss in NRW erfolgte heute Nacht.

Worum geht es?

Standortsicherung und Beschäftigungssicherung sind sozusagen „Handwerkszeug“ der Restrukturierung, sie geben Orientierung für die Zeit nach umfassenden Struktur- und /oder Personalmaßnahmen:

Ziel einer Standortsicherung ist die Festschreibung eines Arbeitsplatzes zumindest in einem geographischen Raum, in der Regel mit einer Mindestbeschäftigtenzahl im Jahresdurchschnitt. Die Laufzeiten liegen derzeit zwischen 2021 (2022 sind Betriebsratswahlen!) und 2030. Die oft parallele Beschäftigungssicherung schließt betriebsbedingte (Beendigungs-) Kündigungen entweder aus oder stellt sie unter Zustimmungsvorbehalt (mit Eskalations-Regelung). Sie begleitet die Standortsicherung und schließt oft an eine Phase des vereinbarten Personalabbaus an. Standort- und Beschäftigungssicherung stehen oft zudem unter Durchsetzungsvorbehalten und unter einer sog. ‚Schlechtwetterklausel’, also dem Vorbehalt der Nachverhandlung.

Wie wurde das bisher in der Sanierung umgesetzt?

Im Rahmen der Standort- und Beschäftigungsgarantie gibt es unterschiedliche Regelungsmodelle, um den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Für Sanierungen hat die IG-Metall beispielsweise schon 2004 im sog. „Pforzheimer Abkommen“ eine umfangreichere tarifliche Öffnungsklausel vereinbart, durch die Unternehmen nicht nur in Sanierungsfällen bestehende Tariferhöhungen bzw. T-Zug kürzen und Arbeitszeiten verändern können, um Sanierungsbeiträge des Gesellschafters und des Managements sowie wichtige Investitionen zu ermöglichen oder auf Fachkräftemangel reagieren zu können. Zuvor müssen jedoch alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die ein Tarifvertrag bietet. Der jeweilige Flächentarifvertrag bleibt damit der Standard, die Abweichung hiervon die Ausnahme.

In den letzten Jahren begleiten Betriebsräte diese Verhandlungen (schon zum Zwecke der Abrechenbarkeit des Beratereinsatzes) durch betriebliche Vorschläge zum Standort- und Beschäftigungsschutz (§ 92a BetrVG), auch außerhalb angekündigter Betriebsänderungen. In den letzten Monaten wurde das zudem durch Verfahren zur Qualifizierung ergänzt (§ 97 BetrVG). Wer genau gelesen hat, konnte in den letzten Wochen in diesem Rahmen schon die – noch (!) – betriebliche Forderung nach einer ‚Zukunftsvereinbarung‘ lesen.

Was auf den ersten Blick für den Arbeitgeber auf Grund der Beratungs- und Begründungspflichten lästig wirken kann, gibt aber bei einer richtigen Herangehensweise an die Verhandlungen Chancen und Möglichkeiten, Sanierungsprozesse zu steuern, Beratungsprozesse sogar abzukürzen und mit dem Betriebsrat die Zukunft im Unternehmen gemeinsam und kreativ zu gestalten. Das mündete in den ersten – auch großen – Fällen bereits in umfassende Zukunftsvereinbarungen (öffentlich bekannt geworden z.B. bei Airbus, Schaeffler, MAN und Siemens Energy).

Inhalt einer Zukunftsvereinbarung

Zukunftsvereinbarungen beschränken nicht die zulässigen Änderungen am Standort, sondern gestalten gemeinsam die Grundlagen einer künftigen Entwicklung. Hierdurch lässt sich der Wandel im Unternehmen gemeinsam gestalten.

Sie beziehen sich häufig auf technologische Herausforderungen und Kompetenzen am Standort oder auf die Weiterentwicklung der Kompetenzen.

Durch Zukunftsvereinbarungen werden Kernaussagen zur Positionierung des Unternehmens in Zukunftsthemen getroffen, es wird ein Bezug zum Standort hergestellt und Chancen und Risiken für die Beschäftigung werden herausgearbeitet. Aus diesem Prozess ergibt sich ein Standort-Leitbild.

Das jeweilige Leitbild eines Standortes wird sodann in einer Art ‚Dreiklang’ in konkrete Innovations-Zusagen, Qualifizierungs-Prozesse, Innovations-Initiativen umgesetzt, begleitet von Demographie-Programmen. Die korrekte Formulierung einer Zukunftsvereinbarung ist dabei jedoch meist die größte Hürde – die Zukunft ist bekanntlich ungewiss. Daher sind Klauseln, die auf den ersten Blick ausgeklügelt erscheinen, bei näherer Betrachtung oft ‚schwammig’, also unvollständig und ungenau. Anpassungs- und Nachverhandlungsklauseln begleitet von einem Lenkungsausschuss- und Eskalationsprozess sind daher unentbehrlich. Auch jährliche ‚Revisions’-Klauseln haben sich als sinnvoll erwiesen, um die Hürde für einen Abschluss zu senken.

Nichtsdestotrotz überzeugen Zukunftsvereinbarungen durch ihre Vorteile. Sie können beispielsweise durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung geschaffen werden. Anders als im Rahmen einer Pforzheimer Regelung können durch Zukunftsvereinbarungen auch nur generelle Vorgaben vereinbart werden. Diese können somit auf einen längeren Zeitraum ausgelegt werden, während sich eine Pforzheimer Regelung meist nur auf die kommenden drei bis vier Jahre bezieht.

Wohin geht jetzt die Reise?

Zunächst zwei Enttäuschungen: Zum einen scheint derzeit nur die IG Metall wirklich an diesem Thema interessiert, verdi und IGBCE kommen sicher nach. Zum anderen versteht die IG Metall unter Zukunftsvereinbarung oft nur die banale Absenkung von Arbeitszeit, was Strukturprobleme noch nie gelöst hat. Aber Aufgeben gilt nicht: Gesellschafter-Zusagen gleich welcher Art, und wenn es auch nur die Finanzierung eines Sozialplans ist, sollten proaktiv vom Abschluss sinnvoller Zukunftsregelung abhängig gemacht werden, um nicht von Forderungen getrieben zu werden, sondern selbst gegenüber den Schlüsselmitarbeitern zu steuern. Moderne Vereinbarungen adressieren wichtige Themen wie konkrete Investitionszusagen, Qualifizierungs-Initiativen und den regelmäßigen Demographieprozess. Bei PE-Finanzierungen und möglicherweise bevorstehenden Eigentümerwechseln sind zudem sogenannte „Best-Owner“-Vereinbarungen üblich geworden, um personalpolitisch Stabilität in den Prozess zu bekommen. Wichtig ist in jedem Fall eine genaue Überlegung, welche Themen durch eine Zukunftsvereinbarung geregelt werden sollen und welche man besser noch offen lässt.

Aktuelle Fragen

Zur Gestaltung der Transformation in den Betrieben haben sich die Tarifparteien auf einen verbindlichen Prozess hin zu Zukunftstarifverträgen verständigt. Die Betriebsparteien müssen über die Herausforderungen der Transformation im Betrieb beraten, wenn eine Partei das wünscht.

Mit dem Abschluss in der Metall-Industrie wird sich das Spielfeld aber noch einmal verändern: Reduzieren sich die Diskussionen um die Zukunft wirklich nur auf banale Arbeitsplatzabsenkungen? Wird ‚Pforzheim’ jetzt durch neue Strukturen ersetzt oder nur ergänzt? Welche Anforderungen werden künftig an einen verlässlichen Standort- und Beschäftigungsschutz gestellt und wie wird das sanktioniert? Und – ganz wichtig – mündet der betriebliche Prozess nach § 92a BetrVG in einen – kampffähigen – Tarifprozess mit den entsprechenden Folgen für die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen? Nachdem sich die Ideen der erstreikbaren Sozialtarifverträge und des IG-Metall Sonderbonuses weitgehend ‚totgefahren’ haben, kommt jetzt ganz sicher die Forderung nach einem Zukunftstarifvertrag, möglicherweise weit in die mittelständischen Strukturen hinein. Wir müssen also den neuen Abschluss genau lesen – wie weit geht die Friedenspflicht dann wirklich?

Fest steht, das Transformationsgeld“ kann jedenfalls wahlweise ausgezahlt oder zum Teilentgeltausgleich bei Arbeitszeitabsenkung, etwa der Einführung einer Vier-Tage-Woche verwendet werden. Darüber entscheiden die Betriebsparteien.

Fazit

Zukunftsvereinbarungen bieten den Unternehmen eine höhere Flexibilität in ihrer Zukunftsgestaltung und bei der Möglichkeit, auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zu reagieren. Standort- und Beschäftigungsgarantien wie man sie bisher kannte leiden oft an starren Herangehensweisen oder begrenzten Regelungsmöglichkeiten.

Somit steht fest, dass Zukunftsvereinbarungen in den kommenden Jahren immer mehr an Popularität gewinnen werden und bisherige Regelungsmodelle – wie Pforzheimer Abkommen – ablösen werden.

Wer heute schon an morgen und übermorgen denken will, kommt nicht daran vorbei, sich mit diesem Thema ausführlich auseinander zu setzen und bereits jetzt die richtigen Schritte in die Wege zu leiten. Die Korrekte juristische Umsetzung steht dabei im Mittelpunkt, um unnötige Komplikationen zu vermeiden.

Dr. Burkard Göpfert, LL.M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Burkard Göpfert berät vorwiegend in komplexen Transformations-, Integrations- und Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie bei der Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Er ist Autor und (Mit)-Herausgeber zahl­rei­cher Fachbücher zu den Themen Umstruk­tu­rie­rung und Arbeitsrecht sowie Lehr­be­auf­trag­ter an der Universität Passau und leitet seit über 10 Jahren die Jahrestagung „Restrukturierung“ des Han­dels­blatts. Burkard Göpfert ist u.a. Mitherausgeber der ZIP. Er ist Mitglied der Fokusgruppen "Private Equity / M&A" und "ESG". 
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