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Pandemiebedingtes Homeoffice ist keine „Versetzung“

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Deutschland befindet sich weiterhin im „Dauer-Lockdown“ und ein Großteil der Arbeitnehmer arbeitet inzwischen wie selbstverständlich im Homeoffice. Landesweit haben Unternehmen ihre Mitarbeiter vorsorglich zum Arbeiten nach Hause geschickt. Der Betriebsrat hat bei solchen Anordnungen kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG, da keine Versetzung des Arbeitnehmers vorliegt, wie die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main entschied.

Zum Hintergrund

Der Arbeitgeber schloss im Mai 2020 aufgrund der Corona-Pandemie und der drastisch steigenden Fallzahlen vorübergehend seine Betriebsstätten in Deutschland und wies die Mitarbeiter an, für die Dauer der Betriebsschließung aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten. Dabei wurde der Geschäftsbetrieb unverändert fortgeführt und weder die Tätigkeit noch die Arbeitsabläufe der Mitarbeiter verändert. Der Betriebsrat forderte daraufhin nach § 101 BetrVG die Aufhebung der Anweisung an die Mitarbeiter im Homeoffice zu arbeiten, da der Arbeitgeber sein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG verletzt habe.

Die Entscheidung: Keine Versetzung bei vorübergehendem Homeoffice

Diesen Versuch ließ die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main abprallen. Es handele sich bei der Aufforderung zum „pandemiebedingten Homeoffice“ schon nicht um eine Versetzung im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG und damit auch nicht um eine nach § 101 S. 1 BetrVG aufzuhebende personelle Maßnahme. Dies sei der Fall, weil den Arbeitnehmern kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen werde und weder die Tätigkeit noch die Arbeitsabläufe sich dauerhaft verändern würden.

Die bloße Ortsveränderung stelle keine Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs dar. Es würden sich lediglich die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen sei, ändern.

Nur diese Auslegung werde dem funktionalen Verständnis des Versetzungsbegriffs gerecht und vermeide Wertungswidersprüche im System der Beteiligungsrechte. Denn wäre eine länger dauernde oder dauerhafte Verlagerung des Arbeitsortes bereits als Versetzung zu qualifizieren, hätte der Betriebsrat in diesen Fällen ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG und würde entgegen der Wertung des §§ 111, 112 BetrVG ein Instrument erhalten, um eine Verlegung des Unternehmens zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Auch Schutzzwecküberlegungen würden es nicht rechtfertigen, die bloße Ortsveränderung zu einem maßgeblichen Kriterium für den Versetzungsbegriff zu machen. Denn regelmäßig stehe eine Ortsveränderung nicht isoliert, sondern gehe mit einer Erneuerung der Betriebsorganisation und/oder einer Tätigkeitsänderung einher, welche in diesem Fall eine Versetzung annehmen lasse.

Folgen für die Praxis

Der Einschätzung des Gerichts ist zuzustimmen. In einer Notstandssituation muss es dem Arbeitgeber gestattet sein, vorübergehend Arbeitnehmer ins Homeoffice schicken zu können, ohne Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu berühren. Dies muss umso mehr gelten, wenn, wie hier, den Arbeitnehmern kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird und weder die Tätigkeit noch die Arbeitsabläufe sich dauerhaft verändern. Die bloße Ortsveränderung kann jedenfalls nicht ohne weiteres als Versetzung zu qualifizieren sein.

Die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ist sich bei ihrer Entscheidung bewusst, dass die von ihr getroffene Beurteilung des Nichtvorliegens einer Versetzung bei vorübergehendem Arbeiten im Homeoffice höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde. In einem Parallelverfahren hat die 12. Kammer des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main eine Versetzung (§ 95 Abs. 3 BetrVG) und damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 99 Abs. 1 BetrVG dagegen bejaht. Wie so viele arbeitsrechtliche „Pandemiethemen“ ist auch diese Frage also eine, die höchstrichterlich zu klären ist.

Bis dahin dürften Arbeitgeber aber frei darin sein, auf „Notstandssituationen“ – wie etwa eine Pandemie – so zu reagieren, dass sie ihren Beschäftigten kurzfristig einen anderen Tätigkeitsort zuweisen ohne dabei formal unter § 99 BetrVG (verknüpft mit etwaigen langwierigen Zustimmungsersetzungsverfahren) zu fallen. Eine Beteiligung ließe sich im Übrigen auch jederzeit nachholen, sollte ein Gericht anders entscheiden.

Mit freundlicher Unterstützung von Steffen Jacobs, Referendar in München.

Katja Giese, LL.M.

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht / Attorney-at-Law (NY)
Partner
Katja Giese berät Arbeitgeber vor allem in Zusam­men­hang mit inter­na­tio­na­len Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, der anschlie­ßenden Integration und Umstruk­tu­rie­run­gen. Sie verfügt außerdem über umfassende Erfahrungen im inter­na­tio­na­len Projektmanagement. Katja Giese ist zugelassen als Attorney-at-Law (NY) in den Vereinigten Staaten, wo sie Teile ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn verbrachte. Besondere Branchenkenntnis besitzt sie im Technologiesektor.
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